Susi und der Süßkram



Kurz vor der Mittagspause, es war fast halb eins,
fragte mich mein linker Nachbar, ob sich die Liebe
bei mir nicht auch auf den Appetit auswirke. Er
meinte, dass die meisten Leute viel mehr futtern,
wenn sie verknallt sind. Manche kriegen dann
vielleicht nichts mehr runter, aber die meisten...
Als Beispiel führte er den rechten Nachbarn meines
rechten Nachbarn an, der hätte ja dann richtig
Kohldampf!
Einen Momant lang ließ ich mir das durch den Kopf
gehen, und kam zu dem Schluss, dass Susi meinen
Appetit wohl als Einzigstes unbeeeinflust gelassen
hat. Er war nach wie vor plus/minus null. Ganz normal.
Mein Mittagessen ließ ich mir wie immer schmecken.
Später dann, um Zwei herum holte ich mir meinen
üblichen Kaffe und witzele herum: "Da ist der
Kaffee, und wo ist das süße Stückle dazu? Das
steht unten in der Halle, und kann mir noch a
bermillionen Kaffees versüßen!" Mein linker Nachbar
grinste sich einen.
Dann kam auch schon der von ganz links außen mit
einem riesigen Stück Schwarzwälder Kirschtorte
herein, setzte sich und begann zu fressen. Anders
kann man es nicht sagen. Ohne was zu sagen futterte
er drauf los, und auch ich hielt mich zurück.
Schaun mer mal, wie die anderen reagieren. Das
ließ nicht lange auf sich warten. Mein linker
Nachbar erwischte ihn: "Da schau her, da frisst
er und schwätzt nix! Wo hast du das her?" Er
hatte es aus der Nachbarabteilung, ein Geburtstagskind
hatte eine Torte spendiert. Kaum gesagt, da sammelte s
ich alles zum Kuchenholen. "Sie kriegen nix!",
frotzelte mein linker Nachbar, "Sie haben ja Ihre
süße Susi!" Spaßeshalber holte ich doch meinen Teller
hervor und sagte: "Na gut, solange der Kaffe noch heiß
ist!" Das gefiel meinem linken Nachbarn, und er sagte:
"Hab ich Sie erwischt! Alles nur Menschen, alles nur
Menschen!" Schwupps - da war der Teller wieder weg,
und ich machte keinerlei anstalten, Kuchen zu holen.
"Sie können ruhig Torte essen, ich hab' nichts gesagt!",
meinte er. "Ich aber, ätschi-bäätsch!" entgegnete ich
und arbeitete weiter. Bis zu den Ohren grinsend schaute
ich seelenruhig zu, wie meine beiden Nachbarn die
Kirschtorte in sich hineinschaufelten.
Bald danach kam das Geburtstagskind, hielt mir ein Stück
Torte vor die Nase, und fragte: "Na, nicht auch ein
Stückchen?" Die Schwarzwälder Kirschtorte duftete
hervorragend nach Kirschwasser, sie sah luftig und
sahnig aus, geradezu verführerisch. Aber vor meinem
geistigen Auge sah ich eine noch süßere Verführung,
meine liebe, süße Susi. Für mich duftete sie in dem
Augenblich um Klassen besser als diese fettige Torte.
Meine Nachbarn glotzten nur so, weil ich der Torte
widerstehen konnte.
Stunden später musste ich immernoch lachen. "Wenn
ich den Kuchen gegessen hätte, dann wäre er gegessen
und auch schon wieder vergessen. So aber geht er in
die Geschichte ein als das beste Stück Schwarzwälder
Kirsch meines Lebens - Das ungegessene Stück! Die
Torte hätte mich auch nicht ein Milliardstel so
glücklich machen können, wie es Susi macht!"
Nach Feierabend kam ich an einer Bäckerei vorbei.
Obwohl ich mich nicht mit dem Gedanken trug, etwas
zu kaufen, drängte sich gleich derGedanke auf:
Kuchen oder Susi? Niemand ahnt, wie leicht mir da
die Entscheidung fiel.

Anderntags gab es zum Mittagessen als Dessert ein
Gebäckstück mit Fruchtfüllung. Sofort rastete mein
neuer Mechanismus ein: Kuchen oder Susi? Grins,
grins! Das Aprikosenteil landete auf dem Tisch des
rechten Nachbars meines rechten Nachbars.


Tags darauf verschenkte ein Kollege süße Stückle,
frisch vom Bäcker. Er versuchte, mich zu verführen,
aber erfolglos. Er wusste ja nicht, dass mein
"Susi-oder-Kuchen-Mechanismus" griff. Mein linker
Nachbar tat mir dann den großen Gefallen, und nahm
schmunzelnderweise das mir zugedachte Stückle mit.
Ja, das ist die süße Susi, wie ich sie kenne! jetzt
nimmt sie auch noch Einfluss auf meinen Appetit. Weil
mir das eine vernünftige Sache zu sein scheint, lasse
ich sie auch gerne gewähren. Schaun mer mal, was das
noch werden soll, anscheinend hat sie Großes vor...