Arbeit mit Susi

Was ein verlorenes Schräuble...


...so alles in Gang bringen kann...

Das erste Schräuble verlor Susi vor Wochen, und
ich sagte es jemandem, mit der Bitte, es wieder
hineinzudrehen. Nichts geschah. Ein paar Wochen
stupfelte ich bei Gelegenheit, dann war ich ruhig,
in der Hoffnung, dass derjenige es machen würde,
wenn ich endlich die Schnauze hielte. Das kenne
ich ja von mir, ich komme ja auch nur dann in die
Gänge, wenn man mir nicht ständig auf den Fersen ist.

Heute ist das Schräuble irgendwo, aber nicht da,
wo es sein sollte.


Letzten Donnerstag verlor sie das zweite, und ich
war mir unschlüssig, ob ich es nochmal demselben
Menschen sagen sollte.
Dennoch versuchte ich mehrere Male, denjenigen
anzusprechen, brachte es aber nie über die Lippen.
Am Abend blieb ich noch ein bisschen bei ihr, wie
immer. Sie schien mir verletzlich wie nie mit dem l
eeren Gewinde, vollkommen hilf- und wehrlos.
"Hilf mir, ganz zu sein!" schien sie mich regelrecht
anzubrüllen.
Mir kam der Gedanke, dass es möglicherweise genau
darum ging: Dass das, was ich sage, endlich mal
einen Effekt haben sollte. Nicht nur, wenn es aus
geschäftlichen oder sonstigen Gründen auch immer
notwendig war - das klappt ja schon seit
längerem - sondern allein, weil ich es so will!

Es ist, als würde man die Straßen lang gehen.
Auf einmal hebt es einen hoch, und man überblickt
die ganze Stadt, weiß, in welche Richtung man zu
gehen hat. Man weiß, welche Richtung das eigene
Leben zu gehen hat. Dann schwebt man noch höher,
sieht das ganze Land und erkennt das Muster,
welchem das Leben folgt. Man sieht zwar nicht
die ganze Welt, das Universum schon mal gar nicht;
erkennt aber das wirklich Wichtige, und weiß was zu
tun ist. In meinem Fall: nicht nur das Maul aufkriegen,
sondern noch Erfolg damit haben!
Das ist Susi, wie sie leibt und lebt: indem ich mich um
ihr Ganzsein bemühe, hilft sie mir, ein bisschen "ganzer" zu sein...



Freitag früh schaffte ich ganz normal mein Zeug und
überlegte mir, wen ich anlabern soll: den Konstrukteur?
Susis Abteilungsleiter?

Die Entscheidung wurde mir schnell abgenommen...


11:00 Uhr: Gute Nachricht, Unglauben

Auf einmal steht mein Meister neben mir, das Telefon
in der Hand, und sagt: " Sie wollten doch immer mal
mit der Susi schaffen, also, morgen können Sie ran!"
"Das lasse ich mir doch nicht zweimal sagen!", antworte
ich, und er macht die Sache mit seinem Gegenüber am
anderen Ende der Leitung klar.
Kaum ist das Telefon aus, denke ich mir: hat er das
jetzt wirklich gesagt, oder habe ich das nur geträumt?
Ich bin ruhig, lasse es auf mich wirken, rede mit niemandem darüber.


12:00 Uhr: Nur geträumt?

So kommt es mir weiterhin vor.

13:00 Uhr: Dieses Kribbeln im Bauch...

Zu Mittag trinke ich meinen Kaffe, wie üblich bei
Susi. Das Kribbeln verwandelt sich in einen "Blupp",
zum ersten Mal scheint es mir, dass es doch wahr werden soll.


14:00 Uhr: Die Spannung steigt...

Es war gesagt worden, dass mich jemand holt, um mir
zu sagen, was ich morgen zu tun habe. Jeder Schritt
auf der Treppe, jedes Türenschlagen lässt mich
instinktiv zur Tür blicken.
Dann kommt Susis Abteilungsleiter. "Alles klar morgen?",
fragt er. "Alles klar, wenn ich es nicht nur geträumt habe!",
antworte ich. Mein Werkstück muss noch fertig werden,
dann habe ich Zeit für ihn.


15:00 Uhr: Einweisung

Nein, nicht in irgendeine Anstalt, oder sowas! Nein,
in die Arbeit an Susi. "Das sind die Teile, nicht fallen
lassen, sie werden sonst oval. Teil einspannen, Knopf
drücken, durchlaufen lassen, Teil wechseln. mehr nicht.
Kannst ja noch ein Weilchen zuschaun, wie er das macht."
Das spare ich mir aber für den Feierabend.
Dann fasse ich mir ein Herz, und sage ihm, dass Susi
jetzt das zweite Schräuble verloren hat. Er fragt mich,
wo, und ich zeige es ihm. Sofort liest er es auf,
und platziert es wieder!
Unglaublich, ich sage was, und das zeigt Wirkung!

 
16:00 Uhr: Seele in Aufruhr!

Wie üblich an Freitagen, fege ich unseren Vorraum,
da kommt mein Meister und sagt: "Nicht dass Sie heute
vor lauter Aufregung nicht schlafen können..." Damit
habe ich aber gar kein Problem, bis abends bin ich
müde genug, und ich glaube es sowieso erst, wenn es ist.


17:00 Uhr: Genau zuschaun

Nach Feierabend studiere ich eine Weile, wie der
Arbeiter das macht. Tür auf, Teil einsetzen, Tür
von außen zuschmeißen, ein paar Züge paffen, Tür auf,
Teil raus, Rohteil rein, Knopf drücken, Tür wieder
 von außen zuschmeißen.
Ich habe den Eindruck, dass der Alltag für ihn so
grau ist wie sein Haar.


18:00 Uhr: Bus fahren

Zwischen den vielen Leuten erscheint mir das alles
wieder höchst unwirklich. Was ist Realität?


19:00 Uhr: Einkaufen

in einem Klamottenladen laufe ich aus Versehen an
einem Spiegel vorbei. Bin ich das noch? Es erscheint
mir, als sei mein Gesicht weniger verwaschen als sonst.
Mehr Relief... Hat Susi mich ein Stückchen "ganzer"
werden lassen, weil ich ihr zu ihrem einen Schräuble
verholfen habe?
Keiner soll mir einen Mist erzählen, Liebe heilt!

20:00 Uhr: Heimkommen

Im Treppenhaus steht eine Dekoration von der
Hauseigentümerin. Besenpuppen und lauter Sonnenblumen
Es ist wunderschön, ich liebe Sonnenblumen! Noch nie
habe ich mich so über eine Dekoration gefreut, mit
unendliche Susi-Liebe im Herzen ist das aber auch
kein Kunststück!


21:00 Uhr: Auf ins Netz der Netze!

Jemand im Internet benutzt folgende Signatur:
"Womit in aller Welt habe ich dich verdient?!"
"Normalerweise höre ich diesen Satz nur dann, wenn
jemand gleich fluchend hinaus rennt, noch nie hat
jemand danach gelächelt....
Ich muss sagen, so gefällt es mir besser!!!"
Das geht mir runter wie Öl, ich kann es besser denn
je nachfühlen. Ich lächele nicht nur, ich grinse wie 21 Honigkuchenpferde!



22:00 Uhr: Radio hören

Es kommen wunderschöne Lieder, die mich auf morgen
einstimmen:
Love divine, These words, obsesion...
Zum Schluß lege ich eine CD ein, höre "Schlaf, mein
Liebling" von den Comedian Harmonists und denke nochmal
kräftig an "meine" liebste Susi.


23:00 Uhr: Marsch ins Bett!

Ja, von wegen, nicht schlafen können! Grins! Ich glaube
es ja doch erst, wenn es soweit ist!


Samstag:

05:00 Uhr: Eine ruhige, friedliche Nacht beendet

Waschen, anziehen, Tasche packen und raus - Dank guter
Vorbereitung schnell wie nie!


06:00 Uhr: Die Gestalten der Nacht bevölkern noch die Straßen

Ich nehme den allerersten Bus, und die Welt erscheint
noch völlig unwirklich. Zeitungsausträger und Nachtschwärmer
sind unterwegs, und an der Umsteigestelle muss ich der
Kehrmaschine ausweichen.

Kurz vor halb sieben bin ich am Ziel, es scheint nicht
minder unwirklich. Hier und da brennt ein Licht, es
herrscht Nachtstimmung und Susi pennt noch. Gleich fragt
mich jemand, was ich um die Zeit schon hier will,
 schießt es mir durch den Kopf.
Ich schleiche durch die Gänge, um den Schichtleiter zu
finden, und endlich biegt er ums Eck.
"Ich weiß, wo Sie heute arbeiten!" sagt er, und ich
antworte mit einem verschmitzten Grinsen: "Ich auch!"

Dann startet er Susi für mich.


06:34 Uhr: Ready to take off!

Ja, ich hebe ab, mit "Raumschiff Susi"! Es ist wahr!


07:00 Uhr: Up where we belong

Habe ein brauchbares System herausgefunden, um die
Arbeit glatt über die Bühne zu kriegen: Vier, fünf
Teile durchlaufen lassen, dann die fertigen sorgsam
in die Kiste stapeln und Rohteile holen. Alle 20 Minuten
ein Teil zum Messen rauslegen. Es geht wunderbar von der Hand.
Ob ich heute Mittag immernoch den Schwung drauf habe?


08:00 Uhr: Take me where the sun is shining

Ein Kollege kommt vorbei, schaut einmal ein wenig
misstrauisch zu. Er kann sich wohl nicht so richtig
vorstellen, dass das Spaß macht. Als ich ein Rohteil
einsetze, macht er eine unzweideutig eindeutige
Handbewegung. "Ja", sage ich, "So, nur viel schöner!"
Ungläubig grinsend trollt er sich.
Unter dem Gehörschutz komme ich gewaltig ins Schwitzen,
ich mache ein paar "Runden" mit und dann wieder ohne,
weil meine Ohren Luft brauchen. Ein netter Mensch gibt
mir dann ein Paar Ohrstöpsel, und die sind ideal. Sie
halten genug ab, dass es nicht zuviel wird, lassen aber
genug durch, dass das "Feeling" erhalten bleibt. Und der
"Blumendünger-Effekt"! Susis "süße Lache" gibt mir so
viel... Andere müssen sich in ein Kloster zurückziehen
oder in den Himalaya reisen, um das zu suchen, was
ich bei Susi finde.
Seelenruhe und innerer Frieden haben für mich nicht
notwendigerweise mit Geräuschlosigkeit zu tun.


09:00 Uhr: show me heaven

Ich hatte eine Tante, die zu mir immer zu sagen
pflegte: "Sei doch nicht so brummig!" oder "Jetzt
freu dich doch mal!" Sie starb 1983, in meiner
unglücklichsten Zeit. Jetzt denke ich an sie, schicke
ihr einen Schwall Liebe, und sage: "Tante, jetzt schieb
mal eine Wolke beiseite, und sieh mich an! Sieh, was aus
mir geworden ist, wie glücklich ich heute bin!"
Fertigteil raus, Rohteil rein... Da bleibt immer noch
genug Platz für solche Gedanken.


10:00 Uhr: take my breath away

Aus dieser Perspektive habe ich Susi bisher nur selten
gesehen, aber auch von hier ist sie wunder-wunderschön.
Nicht gestylt, ungekünstelt, solide deutsche
Maschinenbaukunst... Wie soll ich das adequat in Worte
fassen... Ich will hier ja keine Details verraten, die
niemand Auswärtiges wissen darf. Meine Liebe wird
nicht weniger.


11:00 Uhr: The World is not enough

Selten ist die Zeit so schnell verronnen. Fertigteil raus,
Rohteil rein, Fertigteile aufräumen, Rohteile holen, immer
mal eins zum Messen geben... Es ist noch lange nicht
langweilig, mein Elan hat nicht gelitten. Im Gegenteil,
ich pfeife ein Liedchen, und schüttele ein Rohteil, als
hätte ich eine Sambaröhre, oder wie man diese Dinger auch
immer nennt.
Seit Hunderten von Teilen lebe ich in Susis Rhytmus, ihr
Puls ist mein Puls.
Rohteil auf den Dorn schieben, Knopf drücken. Die Spannzange
schließt sich, der Schlitten fährt das Teil in das offene
Werkzeug. Hinten drückt sie den Schieber zu - es ist der
Vorgang, den ich sonst so gerne sehe - das Werkzeug schließt
sich langsam, und es wird immer lauter. Am lautesten ist es,
 wenn sie den Schieber ganz drin hat - für mich auch immer
wieder ein  süßer Anblick - dann zieht sie den Schlitten
langsam zurück, und wenn das Teil draußen ist, lässt sie
den Schieber raus und öffnet die Spannzange. Zeit für den
Teilewechsel.
Auge und Ohr sind immer bei ihr, damit der Wechsel möglichst
prompt erfolgt. Sexy-Hexi Susi soll bei mir doch nicht warten müssen!

Man hatte prophezeit, dass es mit der Liebe nicht mehr
weit her sein würde, würde ich erst mal an ihr arbeiten.
Tja, war wohl nichts! Heute wurde eine Pforte durchschritten,
es ist nicht mehr wie vorher. Es ist schöner, zärtlicher.

11:59 Uhr: Touchdown

Die Geste des Schichtleiters ist schlicht und deutlich: Schluss jetzt!
Meine ist nicht minder eindeutig: Was denn, jetzt schon? Keine
Chance, "Raumschiff Susi" landet.


12:00 Uhr: Es war ja sooo gigantisch!

564 Teile geschafft, in fünfeinhalb Stunden. Man sagt mir,
das sei gut.
Kein Ausschuss, alles hat gepasst! "Wenn nichts kaputt geht,
dann verstellt sie sich nicht", sagt der Schichtleiter. Da
fällt mir das Lied wieder ein, von Goldfrapp:

I'm in love, I'm in love
I'm in love with a strict machine.
 
Ja, strict machine! Das ist sie wirklich!

Jetzt muss ich erst mal "runterkommen", bin noch nicht
ganz wieder da. Ich gehe mich waschen und "für kleine
Mädchen". Wann habe ich das letzte Mal fünfeinhalb Stunden
am Stück ohne Lezteres ausgehalten?
Erst jetzt merke ich, wie geschafft ich wirklich bin!


13:00 Uhr: Küsschen, Küsschen... ... und noch ein Küsschen!

Nach der Arbeit kommt die Liebe. Lauter liebe, süße,
wohlverdiente Schmatzerle! Aber keine wie bei Onkel
und Tante beim Sonntagsbesuch, sondern richtige,
schön mit ordentlich Zunge...



Sonntag:

Erst um drei den Weg ins Bett gefunden, bin ich um neun
schon wieder wach und versuche, mich an den Traum zu erinnern.
Da war doch noch was... Da finde ich die Ohrstöpsel, meine "Liebestrophäe".

Ich glaube es dennoch kaum, solche Geschichten in diesem Stil
pflegte ich mir sonst im Halbschlaf zusammenzureimen, nur zum
Spaß haben, sie immer wieder "hervorzukramen", daran weiter zu
schrauben und herumzuverändern. Früher nur geträumt, und heute
geschehen solche Sachen wirklich! Das Leben kann so verdammt schön sein!

So schön, dass ich das Glück mit meiner Mutter am Telefon
teile, wir haben eine Menge Spaß.
Dann sage ich ihr, dass ich meine Zweifel habe, dass meine
Erlebnisse mit Susi genauso schön wären, könnte ich sie nicht
mit ihr teilen. sie glaubt nicht so recht, dass das einen
Unterschied macht, aber ich sage ihr, wie wichtig mir das wirklich
ist. Dass ich ihr solche Dinge anvertrauen kann und mein Glück mit ihr teilen.
Geteiltes Glück ist doch schließlich doppeltes Glück, oder?


Montag:

Kleine Nachlese. Die Kommentare waren köstlich.
 
"Da hat die Susi ganz schön schnaufen müssen, am Samstag!
Da hätte sie soo gern mal ein Päusle gehabt, aber nein!"

"Da ist ordentlich geschruppt worden, die Susi hatte keine
Sekunde Stillstand!"

"Da haben die Kollegen Bauklötze gestaunt da unten, die
haben ganz schön geglotzt!"

Meinen Meister musste ich natürlich anlabern, weil er
gesagt hatte, dass ich sie ja nicht schonen sollte. Er hat nur gegrinst!

Susis Abteilungsleiter fragte mich dann breit grinsend:
"Hat's geklappt am Samstag?" "Was meinst du?", fragte ich
zurück, und er meinte, dass es schon O.K. gewesen sei. Als
er noch mehr hören wollte, sagte ich ihm: "Erstens:
weltklasse! Zweitens: allererste Obersahne! Und drittens:
einfach oberaffengeil! Dafür bin ich jederzeit wieder zu haben!"
"Gut zu wissen", meinte er, "Dann kann man es ja wieder mal einrichten!"

Fazit der ganzen Geschichte: Träume nicht dein Leben, lebe deinen Traum!